Mitschnitt der Pressekonferenz
Diagnosesicherheit ist ein zentraler Baustein der Gesundheitsversorgung:
Warum bessere Diagnosen Leben retten können. Aktionsbündnis gibt Anstöße für mehr Patientensicherheit
Berlin, den 16. September 2024. In Deutschland verlieren jährlich rund 3.000 Menschen im Straßenverkehr ihr Leben. Im gleichen Zeitraum sterben jedoch 20.000 Patient:innen in Krankenhäusern infolge unerwünschter Ereignisse. Dazu zählen etwa die Verabreichung falscher Medikamente oder eine übersehene oder falsche Diagnose. Allein das Ausmaß von Diagnosefehlern ist enorm und macht fast 16 Prozent des vermeidbaren Schadens im Gesundheitssystem aus (Quelle: WHO). Viele dieser Ereignisse seien vermeidbar, davon ist das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) überzeugt. Dazu müssten Patient:innen und Angehörige jedoch verstärkt in die Diagnosestellung einbezogen werden. Was müsste sich im Gesundheitswesen verändern, um vermeidbaren Schaden von Patient:innen abzuwenden? Darüber diskutierten Expert:innen heute auf einer Pressekonferenz in Berlin. Anlass ist der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufene Welttag der Patientensicherheit am 17. September. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Sichere Diagnose. Richtige Behandlung. Gemeinsam für Diagnosesicherheit“.
Jedes Jahr sind von 20 Millionen Krankenhauspatient:innen etwa 2 Millionen von unerwünschten Ereignissen betroffen. „So bezeichnen wir unvorhergesehene Zwischenfälle wie etwa Medikations- oder Diagnosefehler, Infektionen oder Stürze während einer Behandlung, die die Sicherheit und Gesundheit der Patient:innen gefährden“, erklärt Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit. „Die Folgen können weitreichend sein: Neben dem persönlichen Leid für die Betroffenen und ihre Angehörigen verursachen vermeidbare Patientenschäden auch erhebliche finanzielle Kosten.“ Die Expertin verweist dabei auf eine Preview zu einer Studie der OECD, nach der bei rund 15 Prozent der Kinder in Großbritannien in Bezug auf Asthma überdiagnostiziert und bei 40 Prozent unterdiagnostiziert wird. Weltweit bleibt ein großer Teil der Menschen mit chronischen Erkrankungen wie COPD und Asthma unentdeckt. „Wenn wir also in die Sicherheit von Behandlungsprozessen investieren, erhöhen wir die Patientensicherheit und entlasten das Gesundheitssystem.“
Patient:innen und Angehörige als aktive Partner in der Gesundheitsversorgung
„Missverständnisse und Konflikte sind in der Struktur des Gesundheitswesens unvermeidlich“, so Dr. Christian Deindl, stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnis Patientensicherheit. „Hoher Zeitdruck, Hierarchien, emotionale Situationen und viele unterschiedliche Akteure mit diversen Hintergründen – all diese Faktoren erschweren eine unmissverständliche Kommunikation.“ Nach Ansicht des Experten erhöhen sich die Chancen für eine erfolgreiche medizinische Betreuung enorm, wenn Betroffene, Angehörige und Behandelnde „sicher“ miteinander kommunizieren. „Unser Aufruf zur Verbesserung der Patientensicherheit richtet sich deshalb nicht nur an die Gesundheitsberufe, sondern an die gesamte Bevölkerung“, so Deindl. „Patient:innen selbst können viel zu ihrer sicheren Versorgung beitragen, indem sie über ihre Diagnose, Hygiene- und Präventionsmaßnahmen sprechen, Fragen stellen und Bedenken äußern.“ Grundlage sei eine offene Kommunikation zwischen Patient:innen und dem behandelnden Personal, so der Experte.
Gemeinsam für mehr Sicherheit im Gesundheitswesen – auch mit KI?
Das Motto des diesjährigen Welttags der Patientensicherheit unterstreicht die Bedeutung der zuverlässigen Diagnose als Fundament der Therapie. Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) können große Datenmengen analysiert werden. Im Gesundheitswesen könnten so Krankheiten schneller und präziser erkannt werden. „Die aktuellen technischen Entwicklungen werden die Diagnose der Zukunft beeinflussen und die Basis für eine sichere Gesundheitsversorgung schaffen“, so Joachim Maurice Mielert, Generalsekretär des Aktionsbündnis Patientensicherheit. „Doch der Fortschritt wird erst voll zum Tragen kommen können, wenn der Einsatz erprobt und umfassend getestet ist. Datenanalysen sind hilfreich, können aktuell jedoch nicht die ärztliche Sorgfalt, eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung ersetzen.“
Aufklärungskampagnen als Schlüssel zur Verbesserung
Während der Einsatz von KI oft als großer technologischer Durchbruch angepriesen wird, betont auch Vorsitzende Hecker, dass wahrer Fortschritt gemeinsam mit politischen Veränderungen einhergehen müsse: „Für eine wirkliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung und sichere Diagnosen ist es entscheidend, dass Patientensicherheit als zentrales Entscheidungskriterium fest verankert wird. Dafür benötigen wir den politischen Willen und finanzielle Mittel, um zum Beispiel Kampagnen wie #DeutschlandErkenntSepsis ins Leben zu rufen.“ Die vom Aktionsbündnis Patientensicherheit initiierte Kampagne leistet wichtige Aufklärung und schult alle Beteiligten im Gesundheitswesen zur Früherkennung der lebensbedrohlichen Sepsis und ist ein ganz praktisches Beispiel für einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung von Diagnosesicherheit.
Was kann ich als Patient:in zu einer sicheren Diagnose beisteuern?
Als Patient:in können Sie dazu beitragen, dass eine sichere und präzise Diagnose gestellt wird, indem Sie aktiv an Ihrem eigenen Gesundheitsmanagement teilnehmen und relevante Informationen bereitstellen:
- Bereitstellung einer genauen Krankengeschichte: Geben Sie Ihrer ärztlichen Fachkraft genaue Informationen über Ihre Symptome, deren Dauer, den Schweregrad und den möglichen Auslösern. Teilen Sie auch Ihre Krankengeschichte, einschließlich früherer Erkrankungen, Operationen, Medikamenteneinnahme und Allergien.
- Beschreibung der Symptome: Versuchen Sie, Ihre Symptome so präzise wie möglich zu beschreiben. Notieren Sie sich, wann die Beschwerden begonnen haben, ob und wie sich ihre Intensität im Laufe der Zeit verändert haben und ob bestimmte Aktivitäten oder Umstände die Symptome beeinflussen.
- Aufzeichnung von Veränderungen: Halten Sie Veränderungen Ihrer Symptome fest, einschließlich neuer Symptome oder Verschlechterungen bestehender Symptome. Diese Informationen können den medizinischen Fachkräften helfen, den Verlauf Ihrer Erkrankung besser zu verstehen.
- Bereitstellung von relevanten Informationen: Informieren Sie die behandelnde Person über alle Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder pflanzliche Produkte, die Sie einnehmen, sowie über Ihren Lebensstil, einschließlich Rauchen, Alkoholkonsum und Ernährungsgewohnheiten.
- Fragen stellen: Zögern Sie nicht, Fragen zu stellen, wenn Ihnen etwas unklar ist. Dies kann helfen, Missverständnisse zu klären und Ihr Verständnis für Ihre Gesundheitssituation zu verbessern.
- Zusammenarbeit mit dem medizinischen Team: Arbeiten Sie zusammen, um zusätzliche Informationen zu sammeln, Tests durchzuführen und Behandlungsoptionen zu besprechen. Teilen Sie Bedenken oder Zweifel, die Sie haben, und beteiligen Sie sich aktiv an Entscheidungen zu Ihrer Behandlung.
- Einholen einer Zweitmeinung: Wenn Sie Bedenken hinsichtlich der gestellten Diagnose haben oder unsicher sind, ob Sie die richtige Behandlung erhalten, können Sie die Zweitmeinung einer weiteren ärztlichen Fachkraft einholen.
Weitere Informationen:
Donaldson, L. et al. (2017). Patient Safety: Global Action on Patient Safety. World Health Organization.
World Health Organization. Global patient safety action plan 2021-2030: towards eliminating avoidable harm in health care. World Health Organization, 2021.
Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (2023). #DeutschlandErkenntSepsis – Mehr Aufmerksamkeit für eine tödliche Gefahr. www.deutschland-erkennt-sepsis.de
OECD: „The economics of patient safety in primary and ambulatory care: flying blind.“ (2018).
OECD: “The economics of diagnostic safety: Setting the scene (2024). Preview.
Ahmed, Maria, et al. „Building a safer foundation: the Lessons Learnt patient safety training programme.“ BMJ quality & safety 23.1 (2014): 78-86.
APS-Weißbuch Patientensicherheit: https://www.aps-ev.de/fachbuch/patientensicherheit-im-gesundheitswesen-risiken-minimieren-leben-schuetzen/
Der Welttag im Überblick
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ruft jedes Jahr zwölf Aktionstage zu unterschiedlichen Gesundheitsthemen aus. Einer davon ist der 17. September, der Welttag der Patientensicherheit. Dieser Tag soll das Bewusstsein für die Bedeutung von Patientensicherheit in der Gesundheitsversorgung schärfen und wird in diesem Jahr die Diagnosesicherheit in den Fokus nehmen. Der Globale Aktionsplan zur Patientensicherheit 2021–2030 betont die Notwendigkeit, die Sicherheit diagnostischer Prozesse zu gewährleisten. Das Ausmaß der Diagnosefehler ist enorm und macht fast 16% des vermeidbaren Schadens im Gesundheitssystem aus (Quelle: WHO). Es wird angenommen, dass die meisten Erwachsenen wahrscheinlich mindestens einmal in ihrem Leben einen Diagnosefehler erleben. Deshalb muss erheblich daran gearbeitet werden, die Sicherheit der diagnostischen Prozesse zu verbessern. Der Welttag der Patientensicherheit wurde 2019 erstmals von der WHO ausgerufen, nachdem er vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) in Deutschland initiiert wurde. Das APS koordiniert die Aktivitäten zum Welttag der Patientensicherheit in Deutschland und orientiert sich dabei an dem Motto der WHO für 2024: ”Improving diagnosis for patient safety!”
Siehe www.tag-der-patientensicherheit.de/
Über das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS):
Vertreter:innen der Gesundheitsberufe, ihrer Verbände, der Patientenorganisationen sowie aus Industrie und Wirtschaft haben sich im Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Plattform zur Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland aufzubauen. Zusammen entscheiden und tragen sie die Projekte und Initiativen des Vereins. Das APS wurde im April 2005 als gemeinnütziger Verein gegründet. Es setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden. Patienteninformationen und Handlungsempfehlungen entstehen beim Aktionsbündnis Patientensicherheit durch Erarbeitung in ehrenamtlich tätigen Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Patientensicherheitsthemen, aus der Praxis für die Praxis, und bilden das Herzstück der Arbeit. Informationen finden Sie unter
www.aps-ev.de
Pressekontakt beim Aktionsbündnis Patientensicherheit:
Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.
Melanie Hansen
Alte Jakobstraße 81
10179 Berlin
Tel. +49 (0)30 36 42 81 6-27
hansen@aps-ev.de